Nach jetzt über 25 Jahren Pause wird das traditionalle Lindener Butjerfest wieder veranstaltet. Der Ort hat sich allerdings geändert und ist nicht mehr die ehemalige Fannystraße. Wie bereits im letzten Jahr wird es im Rahmen des Fährmannsfestes, das dieses Jahr vom 1. bis 3. August 2025 stattfindet, am Ihme-Ufer zwischen dem Heizkraftwerk und der Faust-Wiese stattfinden. Aber gefeiert und geklönt wird noch wie in alten Zeiten.
Ein Rückblick auf die Geschichte des Butjerfestes
von Michael Kaiser, Egon Kuhn Geschichtswerkstatt im Freizeitheim Linden
Ihren besonderen Humor bewiesen die BewohnerInnen der Fannystraße, indem sie sie den „Lindener Schiffgraben“ nannten. Denn im Gegensatz zum Schiffgraben auf der anderen Seite des Flusses wohnten hier keinesfalls die schwerreichen Bankiers und Fabrikbesitzer in ihren Villen, sondern die ArbeiterInnen der Mechanischen Weberei und der Baumwollspinnerei, die auf engstem Raum leben mussten und in Zeiten schlechter Konjunktur kaum noch wussten, wie sie über die Runden kommen sollten. Doch Not und Entbehrung schweißt zusammen. – in guten wie in schlechten Zeiten hielt man zueinander.
So feierte man auch bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts gemeinsam die ersten Nachbarschaftsfeste, um einen farbigen Gegenakkord zum harten Alltag in den Fabriken zu setzen. Daraus entwickelten sich die beliebten Kinderschützenfeste in der Fanny- und Mathildenstraße, in denen 1872 ein Gebäudekomplex der Baumwollspinnerei errichtet worden war. Am letzten Tag des hannoverschen Schützenfestes plünderten die anwohnenden Kinder die Dekoration in den dortigen Festzelten. Mit ihr wurden dann die beiden sonst so tristen Innenhöfe der beiden Arbeiterstraßen mitsamt ihrer Toilettenhäuschen in Linden geschmückt – und sie versanken so in einem prächtigen Girlandenmeer.
Das Fest begann mit einem feierlichen Umzug, der jedes Jahr eine neue Parole verkündete. Der Aufruf dazu lautete: „Liebe Kinder! Zum Schützenfest muss sich jedes Kind so fein machen wie es geht! Zum Ausmarsch um 15 Uhr ist Folgendes zu beachten: Wer einen Roller hat der muss ihn schmücken. Wer keinen Roller hat, der macht sich einen bunten Stock mit Blumen. Jedes Kind muss den Ausmarsch mitmachen. Zum Ausmarsch um 9 Uhr muss jedes Kind einen Lampion haben. Alle Gästekinder können sich an den Ausmärschen beteiligen!“
Danach folgten Gesang, Spiele und allerlei spannende Aktivitäten für die Kinder und natürlich eine große Kaffeetafel mit selbst gebackenem Kuchen für die kleinen wie die großen Fannystraßen-BewohnerInnen. Außerdem gab es eine Tombola, in der jedes Kind gewann – sogar, wenn es erst im Laufe des Tages geboren worden war.
Nach dem Abriss der Fanny-straße ab 1968 war es vor allem Anni und Fritz Röttger sowie dem damaligen Leiter des Freizeitheims Linden Egon Kuhn zu verdanken, dass diese Lindener Tradition als „Butjerfest“ im Freizeitheim wieder aufblühte. Viele Lindener erinnern sich noch allzu gerne an die alljährlichen Feiern, die den ganzen Stadtteil zusammenbrachten und Linden-Nord bis ins Jahr 1999 für einen ganzen Tag in einen karnevalsgleichen Ausnahmezustand versetzten.
Als 2024 die Egon Kuhn Geschichtswerkstatt im Freizeitheim Linden e.V. in Zusammenarbeit mit vielen Lindener Institutionen wie Victoria Linden, SC Elite, dem Freizeitheim Linden, der Freiwilligen Feuerwehr Linden, dem Werksmuseum Eisen und Stahl, dem Zinnober Kindermuseum, der ZuKunst, dem HDSC, der Pestalozzi-Klause und der Lindener Buchhandlung zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder ausgerichtet wurde und im Rahmen des Fährmannsfestes ein neues Zuhause gefunden hat, war es keine Überraschung, wieviel ehrenamtliche Unterstützung aus der Bevölkerung zum Gelingen beitrug. Egal, ob Kuchenspende oder Aufsicht bei den Kinderspielen – wer schon als Kind beim Butjerfest dabei war, hat nun begeistert selber mitgeholfen.
Positiv überrascht hat die OrganisatorInnen hingegen der Andrang zahlreicher inzwischen zugezogener Familien, die sich für die Geschichte ihrer neuen Heimat interessierten und deren Kinder dieselben Spiele spielten, wie bereits Generationen vor ihnen. Ob Alteingesessene oder NeubutjerInnen – alle kamen an Lindens längster Kaffeetafel am grünen Ihmeufer zusammen, um über ihre Geschichte(n) und ihre Zukunft zu klönen, während ihre Kinder und Enkel in zahlreichen Prüfungen ihr „Butjerdiplom“ erwarben. Man darf überrascht sein, was sich die Lindener dieses Jahr einfallen lassen werden, wenn sie am 2. und 3. August während des Fährmannsfestes alle wieder „Fannystraßenbewohner“ werden, die ihr traditionelles Butjerfest feiern.
Im Gegensatz zum Limmerstraßenfest, das in erster Linie von den Gewerbetreibenden ausgerichtet wurde, ist das Butjerfest immer das Nachbarschaftsfest der „kleinen Leute“ geblieben, bei dem sich jeder nach seinen Talenten einbringt, um gemeinsam Spaß zu haben. Wer also mit anpacken möchte, Ideen für Kinderspiele hat, einen unterhaltsamen Beitrag für die Butjerbühne plant, einen Kuchen mitbringen möchte, ist herzlich willkommen und trägt dazu bei, ein noch schöneres Fest zu gestalten. Und wer es nicht schafft, sich an den Vorbereitungen zu beteiligen, kann natürlich trotzdem mit seinen Kindern am Sonntag, den 3. August ab 12.00 Uhr beim traditionellen Umzug zum Festgelände mitlaufen. „Miteinander füreinander“ lautet das diesjährige Motto – denn woanders als in Linden wird das Füreinander so großgeschrieben, dass man es miteinander feiern sollte?
Wer dieses Jahr beim Butjerfest mithelfen möchte, kann unter info@geschichtswerkstatt-linden.de mit den Organisator-Innen Kontakt aufnehmen.
Fotos: Archiv Egon Kuhn Geschichtswerkstatt im Freizeitheim Linden e.V.